Aus unserer Evolutionsgeschichte tragen wir Menschen einen wichtigen Überlebensmechanismus in uns: Unser Körper-Geist-System schaltet bei Gefahren automatisch auf Flucht, Kampf oder Todstellen, der sogenannte „Fight-flee-or-freece-Effekt“. Heute begegnen wir in unserem Alltag keinem Säbelzahntiger mehr, sondern vollen Terminkalendern, einem hohen Leistungsdruck und einer häufig ebenso hohen Erwartungshaltung uns selbst gegenüber. Unser Überlebensmechanismus macht hier allerdings keinen Unterschied: Unser Körper-Geist-System reagiert auf hohe Anforderungen mit Abwehr, Angst, Aggression oder Rückzug und flutet unseren Körper mit Stresshormonen.
Wenn wir lernen, uns in solchen Situationen achtsam zu verhalten, schaffen wir einen Bewusstseinsraum, der wie ein Schutzschirm vor dem „inneren Gewitter“ von überflutenden Gefühlen und Gedanken wirkt. Wie machen wir das? Wir nehmen bewusst wahr, was eine Situation in uns auslöst, ohne sofort zu reagieren. Wir werden uns bewusst, wie es gerade in uns aussieht, welche Gedanken uns bestimmen und welche Emotionen und Körperempfindungen gerade da sind. Durch diesen achtsamen bewussten Raum schaffen wir eine gewisse Distanz und Unabhängigkeit von eben jenem inneren Zustand. Wir schaffen eine bewusste Pause zwischen einem Handlungsimpuls und der tatsächlichen Handlung. So reagieren wir nicht automatisch, sondern aus einem bewussten Raum heraus. Wenn wir uns dann für ein bestimmtes Verhalten entscheiden, beziehen wir unser inneres Empfinden sehr wohl mit ein, wir werden aber nicht impulshaft durch dieses Empfinden gesteuert.
Durch das Aufspannen eines achtsamen Bewusstseinsraums kann ich nun entscheiden, wie ich meine Aufgabe bewerkstellige: Ob ich mir Hilfe hole, in welcher Zeit ich sie realistischerweise erledigen kann oder ob ich mich vielleicht sogar abgrenzen möchte, weil die Aufgabe eine Überforderung darstellt. Auf diese Weise erhöht sich mein Repertoire an Bewältigungsstrategien.
Zudem kann ich wahrnehmen, wenn ich beginne mir selbst sehr viel Druck zu machen, und mich vielleicht stressverschärfende Gedanken einholen: „Das wirst du nie schaffen.“ Vielleicht kann ich auch bemerken, wenn ich von Glaubenssätzen gesteuert werde, die mich antreiben: „Es muss perfekt werden!“ Das heißt, ich kann einen bewussten Umgang mit meinen eigenen stressverschärfenden oder sogar stressauslösenden inneren Strukturen erlernen und mich von ihnen distanzieren.